Ich distanziere mich, so weit es bei selbst verfassten Texten möglich ist, von folgendem - es entstand unter strapaziösen Reisebedingungen und ist mit etwas zeitlichem Abstand nicht mehr so gut wie anfangs gedacht. Aber ich bin zu faul es zu überarbeiten. Es folgen also abgetippte Handschriften.
God morgon
eller
god natt.
Es ist exakt 4:00 Uhr als ich aus meinem nun wieder von mir allein bewohnten Bett steige und ebenfalls seit Tagen oder Wochen ist es noch dunkel als ich aus dem Fenster sehe. Ich muss fertig packen, Schlafsack, Kulturbeutel und aufzubrauchendes Essen. Nach einem Kaukau also raus um 4:50, wo Judith und ich feststellen, dass es über Nacht 3 cm Matsch geregnet hat. Das halten trotz ausgeklügelter Hüpf- und Stragengehtechnik selbst meine sonst so treuen (und trockenen!) Converse nicht aus. Halbgut gelaunt warten wir auf den Bus mit Simona und beim Einsteigen kann ich meine Schwedischkenntnisse mal wieder erproben - der Herr fährt uns also als zunächst einzige Fahrgäste nach Holmsund. Dort werden wir dann mit einem nicht allzu sanften "Här!" aus dem Bus geworfen. Gleich im Anschluss sehen wir uns nicht nur Orientierungslosigkeit sondern auch fiesestem Wind verbunden mit der allgemein bekannten gemeingefährlichen Kälte gegenüberstehen. Erstmal geradeaus laufen also, die Bahnlinie gibt erste, der früh auf den Beinen stehende Bahnarbeiter mit dem netten zahnlosen Lächeln zweite Orientierung: Eine zuverlässig erscheinende Auskunft nach dem Weg - zweite schwedische Erfahrung des Morgens. Nach einigen Metern (noch nicht ganz so frustrierend wie die nächsten 50 Minuten) aber erneute Ratlosigkeit. Da kommt eine schwarze alte, aber motorisierte Klapperkiste gerade recht und der etwas jüngere und so weit ersichtlich auch noch bezahnte Mann sagt (zum dritten Mal auf Schwedisch) wir sollen doch einfach der Straße folgen, es gibt nur eine, alles ganz einfach, nur nicht überfahren lassen. Also gehen wir los, die einzige Straße überhaupt, links Meer, rechts dubiose Firmengebäude, vor mir vom Wind aufgestachelte Meerwassertröpfchen ins Gesicht, hinter mit (hoffentlich) Judith und Simona. Viele Autos kommen uns zum Glück nicht entgegen, dafür begegnen wir unzähligen Pfützen, unglaublich viel Wind (meine aerodynamischen Eigenschaften sind wegen des Riesenrucksacks und der Isomatte daran leider schlecht) und Wasser (ob vom Himmel oder vom Meer scheint zunächst nicht ersichtlich, später waren wir aber eher gut gesalzen als von Regen weichgespült). Nach wirklich anstrengenden 50-55 Minuten scheint es geschafft, eine leere Wartehalle mit kühlen Temperaturen wartet auf uns und nach dem Kauf der plötzlich 8€ teureren Tickets sogar Toilettenhändetrocker zum Warmföhnen diverser Kleidungsstücke oder Körperteile. Nachdem man also endlich die kalte Wartehalle verlassen kann, um einen noch kälteren, holzstegigen Zugang auf die Fähre zu gelangen, sitzt man also in Kinosaalatmosphäre in roten Sesseln, strümpfig weil die Schuhe ihre Reise auf der Heizung verbringen, und packt nach kurzer Zeit den Schlafsack aus, da es sich bei erneuter Kälte schlecht schlafen lässt. Mit windzerzausten Haaren sitzen wir also hier und versuchen uns an das Schwanken zu gewöhnen. Letzteres ist generell kein Problem, jedenfalls bis es richtig windig wird und man getrost sagen kann Flugzeugturbulenzen mit Dauer von 5 Minuten sind Kinderkacke. Und da wir nun schon bei Kindern sind - zu den zweieinhalb Stunden Auf- und Abgeschaukel kommen noch dauerschreiende Kleinkinder und vier oder fünf sich im Wechsel übergebende Personen, immer stolpernd auf dem Weg zum Klo zu erkennen. Dank eines einschläfernd langweiligen Films und der Müdigkeit des 4 Uhr Aufstehens schlafe ich aber doch irgendwann ein. Mit 30 Minuten Verspätung wegen des Angewiesenseins der Fähre auf die von Eisbrechern geschlagegen Weg durchs gefrorene Meer stranden wir also - hallo Vaasa.
Hello who?
Niemand will ein Taxi teilen. "It's full." - "My mom will pick me up."...hm, sieht aus als müssten wir wieder laufen. Glücklicherweise war der beneidenswert bilderbuchige zweifache Vater bereit uns den Weg zu erklären und eine Einschätzung über die Dauer abzugeben: "45 minutes. It's okay to walk there, you don't need to walk on the street, I've done that a hundred times!". Immerhin gibt Vaasa hilfreiche Straßenschilder und keine plötzlich von der Straße abweichenden Fußgängerwege. Straigt on - rakt fram. Finnische Autofahrer (männlich, <50 Jahre) scheinen sich allersings kaum von den schwedischen zu unterscheiden, winken und hupen können sie nämlich auch (wenn auch sehr viel zurückhaltender als beispielsweise italienische Autobahnfahrer). Nach erneuten 50 Minuten (der IKSU Ausfall sei damit entschuldigt) die Ankunft in der Innenstadt Vaasas. Durch den Weg mit Rückenschmerzen gesegnet (die Grundschulregel von höchstens ein Zehntel des Körpergewichts als Schulranzengewicht wird mit 20 leider allmählich vernachlässigt) und durch den sitzenden Mann auf dem schmelzenden Meereis beeinflusst scheinen wir jedenfalls verwirrt und orientierungslos genug auszusehen um nach wenigen Minuten des Sich-auf-der-Stelle-Herumdrehens von einer wirklich unvergleichbar netten Philippinin angesprochen zu werden, sie wolle uns gern weiterhelfen. Dank ihr kommen wir mit dem finnischen Bankensystem, dem Einkaufen und Orientieren viel besser zurecht und hören nebenbei eine weitere interessante Lebensgeschichte mit dem Beruhigung verschaffenden, immer gleichen Problem des Anschlussfindens und Entfernungdurchhaltens. Um meine Erzählungen frei von fiesen Globalisierungen und unethischen Praktiken zu halten würde ich den nächsten Part gern überspringen. McDonalds.
Schnell weiter. Viel zu früh, da von mir initiiert, zum Bahnhof, was uns eine Stunde Rumwarterei einbrockt - inklusive der nächsten schwedischsprachigen Erfahrung und einmal Toilettenbezahlautomatbetrügerei. Irgendwann dann der Zug, überhitzt und alt aber atmosphärisch nett, eine Stunde vorbei an unzähligen eingefallenen Häusern, tornadogleich zerstört oder einfach unbeachtet verfallen, zurückgelassen zwischen Bahnlinie und Feldern mit ziemlich schwarzer Erde. Anschließend ein fabelhafter Kurzaufenthalt in Seinäjoki mit Nüsse wollen aber nicht kaufen und schnellem wieder Einsteigen in Eco-train in grün, Platz finden, Gepäckstücke über Kopfhöhe heben, Platz nehmen und entspannen. Wären da nicht schmerzende Füße und die für maximal 1,70 m große Menschen konzipierten Kopfstützen. Ich werde mitschreiben, ob es sich damit gut weitere zwei Stunden aushalten lässt ohne ernsthaftere Nachenschmerzen davonzutragen. Punkt.
[-sometimes all I wanna do is just start up a fight, but I don't, I drink wine by a pipe -]
[-[...] selfcontrol - these are the qualities I want for my soul -]
[- it was slow but now it's too rapid -]
Nackenschmerzen? Ohja! Wenig flexible Kopfhalterungen wie oben schon erwähnt. Nichts neues für den werten Leser, ich selbst aber habe es wegen diskontinuierlichem Schreiben und einem Goldfischhirn schon wieder vergessen. Die letzten beiden Stunden waren aber durchaus aushaltbar - wie im Nachhinein immer. Ankunft in Helsinki also 22:52 Ortszeit. Angekündigter Treffpunkt, RKioski, ist einfach zu finden und in 25 Minuten warten auf die Gastgeberin erste städtische Eindrücke - städtisch weil betrunkene Menschen, Obdachlose und merkwürdig gekleidete Jugendliche sicher nicht nur prägend für den Hauptbahnhof in Helsinki sind. Nach Zusammentreffen mit Marie also Bus finden (und ihn teuer bezahlen), Wohnung checken, zusammensitzen und spät schlafen gehen. Während ihr euch vorstellen könnt wie eine Nacht für vier Personen in einem Raum, auf Bett, Sofa, Bodenmatratze und Bodenkissenansammlung (me!), so aussieht, wie also die Geschichte für die nächsten sieben Stunden weitergeht, möchte ich euch meine ersten Eindrücke der finnischen Sprache erläutern: Man verdoppele einen bis drei beliebige Buchstaben in einem Wort (Anzahl gemäß Wortlänge) und hänge ein -i hinten dran. Beispiel? Zitrone = sitruunan, Kiosk = kioski, Zucker = sockeri. Hauptsache ist aber eigentlich es sieht unlesbar aus und ist durchschnittlich doppelt bis dreifach so lang wie das entsprechende englische Wort. Das für mich wohl einzige nicht wieder zu vergessende Wort ist aber "eläkeläiset", die Seniorenband. Humppa!
Tag eins. Ich muss mich tatsächlich sehr anstrengen überhaupt aufschreiben zu können was genau wir gemacht haben...eine Buskarte gekauft beispielsweise, eine der besten Entscheidungen hier überhaupt, denn 14 € für drei Tage freie Nutzung von Bus, Tram und Metro klingt besser als 2,70 € für jeden einfachen Weg von und zur Wohnung. Danach eine einleitende touristische Kirchenbesichtigung die wegen nicht vorhandener prunkvoller Golddekorationen aber den sowieso kurzen Weg wert war. Klarer finnischer Stil? Ich beschließe gerade die Tage nicht mehr zu trennen, da erstens sinnfrei wegen meines schlechten Erinnerungsvermögens und zweitens um Langeweile beim Lesen zu verhindern. Irgendwann (Ich erinnere mich! Am ersten Tag!) also noch eine kurze Fährfahrt zu einer ehemaligen Militärinsel die ziemlich verlassen wirkt, nicht wirklich sehenswerte Gebäude beherbergt, dafür schönes gelbes Moos, viele Felsen, alte Mauern und Kanonen sowie touristisch belaufene Grastrampelpfade in angenehm hügeligem Gelände. Vor diesem wasserigen (wässrigen?) Ausflug habe ich etwas durchaus erwähnenswertes gekauft: Endlich, endlich einen (Pseudo) Sami- (fabrikhergestellten) Holzbecher. Wunderschön schlicht und bezahlbar. Danke Helsinki - wenigstens dafür. Das Designmuseum war ein weiterer Stop und ich hatte doch tatsächlich Gesellschaft von vorher skeptischen Personen - wie sich herausstellte (und das tut es in solchen Konstellationen leider immer) war das aber eher Fluch als Segen, denn sie waren hinterher zwar nicht mehr skeptisch unentschlossen, dafür aber genervt und nicht in weitere Museumsbesuche interessiert. Kombiniert mit langen Gesichtern, schnaufen und hetzen während des durch die Ausstellung gehens und der Aussage " Ja, so eins oder zwei fand ich lustig." als positivste Reaktion schon eher nervig und nicht wirklich bereichernd. Artpeople where are you? Does anyone want to come to Helsinki with me again? Kiasma, photography, architecture...we'll meet again, I promise! Das Traurigste dabei: Helsinki ist Design-capital dieses Jahr. Mein rechter, rechter Platz ist frei, ich wünsche (beame) mir den designinteressierten B.H. herbei! Trotz dieser traurigen Tatsache war das aber ncch nicht alles künstlerisches. Die in den Felsen gesprengte, wundervolle Kirche Helsinkis ist definitiv auch ein architektonisches Kunstwerk und ich möchte sie ganz unbedingt Julia zeigen wenn ich könnte. Neben Kunst sehen konnte ich aber auch endlich - nach nahezu zwei Jahren - mal wieder etwas in ähnlicher Richtung produzieren, nämlich beim Workshop einer türkischen Künstlerin über das Zeichnen von Körpern/Personen/Gesichtern mit Bleistift in leicht abstrakter bzw. deformierter Weise. Lange knochige Hälse, überbreite Hüften und elegant lange Beine sind also erlaubt. Besonders toll war, dass die Vorliebe für knochiges, im Besonderen das Schlüsselbein, Hälse und Hände, nicht nur auf meiner Seite bestand. Für mich persönlich also motivierend weil eigene Interessen aufgreifend. Ziel ab jetzt ist der Kauf eines guten Skizzenblocks mit rauem Papier und einiger Bleistifte (2-8B). Zwischen all diesen Dingen habe ich drei unglaublich teure Kaffees getrunken, ein Paar FlipFlops gekauft und Diätpläne mit Simona geschmiedet. Das Wetter ar mistig, vieles zu teuer und die Menschen in Overalls sind mir noch immer unerklärlich. Am letzten Abend in Helsinki schlussfolgere ich also, dass ich nur bei Lust auf Kunsturlaub wiederkomme.
Kiitos.
Schlecht beendeter letzter Abschnitt. Dazu diese später zum Glück nicht mehr sichtbare Handschrift, im Vergleich zu den wundervollen Worten auf dem Blatt meiner finnischen Sitznachbarin hier im Zug eher unangenehm peinlich - hoffentlich neben künstlerisch nicht auch noch sprachlich begabt [Anm.: Ich glaube ich meinte damit hoffentlich fehlende Deutschkenntnisse, sodass sie eventuell noch glauben könnte ich würde wenigstens inhaltlich etwas sinnvolles, schönes produzieren]. Überhaupt aber eine gleich sympathsiche Erscheinung, fragende Offenheit und ein noch breiterer Rucksack als meiner. Mal wieder bin ich froh den Einzelsitz, zumindest doch was uns als "Reisegruppe" anbetrifft, erwischt zu haben. Mein Kopf und ich brauchen öfter mal eine Auszeit von bekannten Gesichtern, floskeligen Aussagen, sinnlosen Fragereien und schmatzenden Mündern. Trotz aktuellem genervt-sein und der Freunde aus mein menschenleeres Zimmer in Umeå waren die Unterhaltungen in den letzten Tagen gut. Menschen besser kennenzulernen ist generell schon interessant, stellt sich aber heraus, dass sie ähnlich sensibel, vorausschauend und dauerhaft verunsichert sind macht es das noch erfüllender. Endlich mal wieder ein Beweis dafür, dass es gut sein kann sich auf Menschen einzulassen, auch wenn es zunächst unmöglich, anstrengend und schwer erscheint.
Sind schreibende Menschen mehr Beachtung auf sich ziehend als andere? Womöhlich weil wir zwei sind, äußerlich vielleicht zusammengehörig erscheinend. Den Herrn mit dem markant faltigen Gesicht, Stoppelbart in grau, Jeansjacke und blauen Augen scheint es jedenfalls zu interessieren. Er gähnt - vermutlich also doch nicht. Ich bin gespannt auf die Menschen, die die gegenüberliegenden Sitze gebucht haben, denn gebucht gewesen müssen sie sein, sonst hätten wir sicher face to face Sitze im Ganzen gebucht - so sagt es mir jedenfalls meine rekonstruierende Logik und meist funktioniert sie ganz gut, als Ersatz für das fehlende Erinnerungsvermögen kein schlechter Ansatz.
Ich will Meisterin der langen, verschachtelten Sätze werden und dabei lernen konkrete Äußerungen zu machen, Vertiefung von Details also, Beschreiben lernen und das Geschriebene vorstellbar machen. Ich will einen pinken Schal sowie pinken Lippenstift in leicht abgewandelter Nuance damit sich die beiden beißen können. Ich will illustrieren können, einfache Zeichnungen anfertigen, um Dinge wie den beißenden Schal darstellen zu können. Ich will einen (bitte ernsthaften, nicht erotisch oder partnerverwöhnend angehauchten) Massagekurs machen. Ich will Kontrabass lernen und mir einen Rockabilly-Look für Rockabilly-Tage zulegen. Ich will Gebärdensprache lernen und Schwedisch auch. Ich will lernen zu wollen.
[- Wir können alles schaffen, genau wie die tollen dressierten Affen, wir müssen nur wollen -]